Eine Urkunde vom 26. Februar 1420 aus Gmünd berichtet von einem Totschlag und enthält einen Schiedspruch zu dessen Sühne. Solche Sühneverträge wurden abgeschlossen, weil die Strafgerichtsbarkeit noch nicht vollständig etabliert war. Dem Täter wird dabei einiges auferlegt. Man erfährt auch manches zu den handelnden Personen in der Stadt Gmünd. Die Urkunde wird im Volltext wiedergegeben.
Die Tat
Aus der Urkunde erfahren wir, dass Wölfel Weber aus Buch („woͤlffl weber von Puech“) an Hans Siebenweiber („Hannsen Sibenweiber“) einen Totschlag verübt hat. Wir erfahren ebenfalls, dass die Gegenpartei – also die Geschädigten – die Witwe Katharina („Kathrey“) und deren Kinder Dorothea („Torothea“) und Peter sind. Das Stadtrecht von 1348 vermerkt zu einem Totschlag, dass ein wegen Totschlags Flüchtiger an die erzbischöfliche Kammer 30 Mark Pfennig und dem Richter 10 Mark Pfennig zu zahlen hat. Die Geschädigten können vom Richter Wiedergutmachung verlangen. Wenn jemand aber wegen Totschlag gefangen genommen und zum Tode verurteilt wird – üblicherweise wenn dieser auf frischer Tat ertappt wurde, dann muss dieser keine Strafe zahlen.
Zur Sühnegerichtsbarkeit
Im späten Mittelalter war die Strafgerichtsbarkeit als Pflicht der Gerichtsherren noch nicht voll ausgeprägt und das Inquisitionsverfahren hatte sich noch nicht überall durchgesetzt. Besonders Totschlag war kein Offizialdelikt, also eine Tat, die von Amts wegen verfolgt wurde. Die Geschädigten bzw. deren Erben mussten selbstständig vor Gericht gegen den Täter vorgehen. Das war mit erheblichem Aufwand, Kosten und Schwierigkeiten bei der Beweisführung (Gottesbeweise) verbunden.
Im Gegensatz dazu bot sich eine außergerichtliche Einigung in Form eines Sühnevertrags an, der eine Entschädigung enthielt und außerdem den Frieden zwischen den betroffenen Sippen wiederherstellte. Eine Tat wie ein Totschlag löste nämlich eine Fehde – sofern die Betroffenen fehdefähig waren – oder zumindest eine Auseindersetzung zwischen den Familien des Geschädigten und des Schädigers aus. Während in früheren Sühneverträgen besonders der Schadensausgleich im Vordergrund stand, rückte später das Seelenheil des Getöteten in den Vordergrund. Da der Getötete unvorbereitet starb, sollte der Täter die zur Vergebung der Sünden notwendigen Bußleistungen erbringen. Diese bestanden oft aus Seelmessen oder Wallfahrten.
Der Sühnevertrag
Worum geht es in der Urkunde? Zwölf Bürger von Gmünd fällen einen Schiedsspruch für zwei Streitparteien. Weil es genau zwölf sind, drängt sich der Befund auf, dass es sich dabei um den geschworenen Rat der Stadt Gmünd handelt, der auch genau zwölf Mitglieder umfasste. Dieser brächte auch die notwendige Autorität und Öffentlichkeit für einen solchen Schiedspruch mit.
Die zwölf Bürger sind: Pilgrim beim niederen Tor, Jakob Simon, Hans von Zankwarn, Hans Froner, Jakob am Knie, Hans Wucherl, Ulrich Wucherl, Wolfram Pölzel, Niklas Messerer, Jörg Wilhelm, Christoph Olm und Hannes Mauter. Sollte es sich bei den Zwölf um den geschworenen Rat handeln, dann wäre das auch genau die Zusammensetzung des Rates im Jahr 1420.
Dem Täter werden folgende Sühnehandlungen auferlegt, die vorwiegend das Seelenheil des Getöteten im Blick haben:
- einen Jahrtag mit sieben Priestern und einem gesungenen Amt, darin fünf gesprochene Messen und einem gesungenem Vigil, die Teilnehmer sollen 2 Wiener Pfennige opfern und eine Kerze aus einem Viertelpfund Wachs tragen
- eine Pilgerfahrt zum Papst nach Rom oder wo dieser sich sonst aufhält
- danach innerhalb Jahresfrist eine Wallfahrt nach Maria E/Aich („Ach … zu vns(e)r Liebe Frew“, unklar wo, es gibt mehrere), nach Mariazell („Czell“) und nach St. Wolfgang am Wolfgangsee („Sand Wolfgang“)
- alle Wallfahrten müssen innerhalb von zwei Jahren nach dem nächsten St. Margarethen-Tag (12./13. oder 20.7.) abgeschlossen sein, der Täter muss diese selbst ausführen und eine Bestätigung vorweisen, dass er dort gewesen ist
- nach den Wallfahrten muss er sich in den Gmündner Turm begeben und darf erst wieder mit dem Willen der Geschädigten in Freiheit entlassen werden
Die Parteien verpflichten sich zur Einhaltung dieser Bedingungen, ansonsten wird eine Buße von 15 Pfund Wiener Pfennigen an den Salzburger Erzbischof, 5 Pfund Wiener Pfennige an den Richter von Gmünd und je 1 Pfund Wiener Pfennige an die zwölf Schiedsprecher fällig.
Für die Ausführung der Auflagen bürgen dem Pfleger Ruprecht von Leobenegg an Eides statt: Konrad Schuster von Göriach, Bruder des Täters, dessen Schwager Heinrich Leutgeb aus Malta, Simon Schneider von Trebesing, Stefan Mesner ebendort, Bartl vom Duelnig, Hans Bartesch aus Altenmarkt, Christian Pinter (Ekhart) aus Göriach, Christian Weber aus Hilpersdorf und sein Bruder Mathias, Stefan am Mitterberg, Rupert Zehentner aus Neuschitz, Peter Undicht und Gregor an der Wegschaid. Als Zeugen fungieren Erasmus Feistritzer und Melchior Hauser. Gesiegelt haben die Urkunde Ulrich Wucherl und Peter „Chawezl“ auf Bitten der Sprecher.
Abschrift
Nachfolgend wird der Volltext der Urkunde aus dem Digitalisat wiedergegeben. Zur besseren Lesbarkeit wurde der Text in Absätze eingeteilt. Diese sind im Original nicht vorhanden.
Ich Pilgreim bey dem nid(ere)n tor Ich Jacob Symon Ich Hanns von Zankwa(r)n Ich Hanns Fron(er) Ich Jacob am Chnye vnd Ich Hanns Wuͦcherl Ich Vlrich Wuͦcherl Ich Wolfram Poͤlcel Ich Niklas Messer(er) Ich Jorg Wilhaͤlm Ich Christoff Olm Ich Hannes Mawtt(er) all tzwelff purg(er) zu Gmuͤnd bekennen offenl(eich) mit dem brieff allen den er furchumbt
als Kathrey Hansen des Sibenweib(er) dem Got gnad saligen wittib Torothea ir Tocht(er) vn(d) Pet(er) ir Bruod(er) vnd alle Helff(er) vnd Guͤner vnd alle Frewnt an ainem tail vnd wolffel web(er) von Puech all sein Frewnt Helff(er) vnd Guͤner an dem and(er)n tail gaͤnczlich hind(er) vns gangen sein vmb den Todslag den d(er) vorgena(nn)t woͤlff(e)l web(er) an dem egenant(e)n Hansen dem Sibenweib(er) dem Got gnad Laid getan vnd begangen hat mit solicher beschaiden waz wir vorgenant all czwelff v(er)aintlich dar vmb sprechen vnd erfinden daz Si in paiden tail(e)n gaͤnczl(ich) dabey beleib(e)n vnd stat halden wellen an all anzczuͦeg nuͦr gesproch(e)n vnd erfund(en)
daz d(er) benant(e) woͤlffl web(er) fur die egenan(nte) wittiben vnd in tocht(er) vnd iren Bruod(er) Pet(er)n wider thuyen vn(d) pitten schol durch gocz will(e)n daz Si im Lawtt(e) v(er)geb(e)n vnd woimer daz im getan hat es schol im die obgenant(e) wittib ir tocht(er) vnd Bruod(er) gaͤnczl(ich) v(er)geben durch gocz willen d(es)h(alb) hab(e)n wir gesprochen vnd erfunden daz d(er) gena(nnte) woͤlffel web(er) d(er) vorgena(nnten) wittiben ir tocht(er) vn(d) irem Bruod(er) salb acht(er) v(er)sprechen sol anz zu v(er)dienne(n) an Bruod(er) Stat vmb Erb(er) Sach vnd vm Schuld wid(er) saw mindren czu tuͦn des gleichen schullen Si wid(er) in auch mindren getimangen (?) mer hab(e)n wir gesprochen vnd erfunden wann des benant(e)n Hansen Sibenweib(er) selige J…zeit … [Löcher] daz man in czu d(er) erden bestat hat
so schol im der benant woͤlffel web(er) ainen Jartag begen mit Siben Priest(er)n mit ainem gesungen Ambt von vns(ere)r Frawn Schieduͦng vnd im gesungene Selambt fuenff gesprochen mess vnd ain gesungen Vigiln vns(e)r Frawe zu Lob vnd der Sel vnd all christ(e)n gelewbigen solen zu hilff vnd zu trost vnd schol auch bey den Ambt(e)n messen vn(d) vigil(e)n Salbsibet sten vn(d) gen oppff(er)n gen jed(er) man mit czwayn wien(er) pfennig(e)n vnd schol jed(er)man ain Kerczen tragen von ainem vierding wax es ab(er) ist gesprochen daz d(er) woͤlffel inn Rom sait mit sein selber Leib gen schol od(er) wo er den heiligen vatt(er) dem Babst vindet vnd schol auch mit willen vnd wizzen seines pfon gen vn(d) anzgesegent vo(r)den vnd wann er die Romfahrt volpracht hat darnach Inn frist eines Jares schol er ab(er) mit ein selbe Leib gein Ach gen zu vns(e)r Liebe Frewn darnach schol er gein czell gen vnd ein vat zu dem Liebe(n) Her(r)n Sand Wolffgang auch schol er czu zuͦyd vnt von d(er) benant(e)n wittib(e)n in tocht(er) vn(d) nem benant(e)n Bruod(er) vrlawb neme(n) ob er sew m(uͤ)gen beraichen mag vnd schol auch von yed(er) stat Kuntschafft pringen daz er da gewesen sey vnd die Fart schullen all volpracht w(or)den von dem nachsten Sand margret(e)n tag d(er) nu schirist chumbt ine dczwain jaren nachainand
vnd wann er daz alles volfuert hat daz gesprochen vnd erfunden ist vnd d(er) brief inne hat so schol d(er) offtgena(nn)t Woͤlffel ab(er) vrlawb neme(n) von d(er) benannte(n) wittibe in tochter vnd vom Brued(er) vnd schol laisten gen Gmuͤnd in den Turm vnd darauz nicht kom(me)n in iren will(e)n wolten sy ab(er) tzu bei dar inne sein so stuͤnd ez h(ier) wid(er) an den Sprech(er)n waz man d(er) dann m(uͤ)gen gehaben moͤcht vnd welch(er) tail daz vber daz gesprochen vnd erfunden ist d(er) vo(r) dem hochwirdigen Fuͤrsten uns(er)m Gnaͤdigen H(e)rrn von Salczburg v(er)fallen in sein Cham(er) wien(er) pfennig fuenff czehen pfunt dem Richt(er) zu Gmuͤnd fuͤmff pfunt vnd jedem sprech(er) ein pfunt.
Auch v(er)ehen wir noch geschrib(en)e michel web(er) woͤlffleins Bruod(er) Chuncz Schust(er) von Goriach sein Swͤh(er) Hainrich Leutgaͤb von maltein Symon Snaid(er) von Trebezzing Steffann mesn(er) da selbs Bartl v(om) Duelnig [unsicher, da Loch] Hanns Bartesch vo(n) altenmarchkt Christan Pintt(er) Ekhart Goͤriach Christan web(er) zu Hilprechtstorff Thomas sein Bruod(er) Mathehas Steffann am Mitterperg Ruͤpel Zehenn(er) in d(er) Newschnicz Pet(er) Undicht Gregorij an d(er) Wegschaid dacz von vendschaident willig Buͤrgen worden sein vnd dem Edel(e)n Ruprecht(e)n von Lewbneck die zeit Pfleg(er) zu Gmuͤnd verdient sein an aydes stat v(er)sprochen hat daz alles daz alles daz volf(üh)ret schol w(er)den daz dye Erb(er)n Lewt gesprochen vnd erfunden hab(e)n bey dem v(er)sprechen vnd puͤrgschafft sind gewesen die Erb(er)n Erasem Fewstricz(er) Melichor Haws(er) vnd and(er)e Erb(er) Lewt genug
daz wir obgenant all czwelff v(er)bintlich den Spruͦch also gesprochen vnd erfunden habe(n) geb(e)n wir den offen brieff v(er)sig(e)lt mit meins obgena(nnten) Vlr(ich) des Wuͦcherlens auffgedruktem Insigil darczu hab(e)n wir gepeten den Erb(er)n Pet(er) den Chawezl daz er sein Insigil durch uns(e)r obgeschrib(e)n all(en) sprech(ern) pett willen auch er den brieff gedrukt hat in vnd sein erb(e)n an allen schaden d(er) spruch ist geschehen im montag in den zehen tagen in d(er) vasten anno d(o)m(ini) (millesimo) cccco xxo
Literatur
Die Kärntner Geschichtsquellen 1414–1500, in: Hermann Wiessner (Hrsg.): Monumenta Historica Ducatus Carinthiae. Geschichtliche Denkmäler des Herzogtums Kärnten, Bd. 11, 1972, S. 8, No. 27.
Glanznig, Michael: Zeitereignisse im Lieser- und Maltatal, Version 02.03.2024, S.73. Online: ark:/65325/r20g86
Ganster, Sabrina: Law and Order in der mittelalterlichen Stadt. Kriminalität und ihre Bekämpfung in ausgewählten Beispielen, Diplomarbeit am Insitut für Geschicht der Universität Graz, 2020, Online: urn:nbn:at:at-ubg:1-156199, S. 45f.
Deutsch, Andreas: Späte Sühne – Zur praktischen und rechtlichen Einordnung der Totschlagsühneverträge in Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: Rolf Knütel et al. (Hrsg.): Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 122 (2005), S. 113–149, Online: doi:10.7767/zrgga.2005.122.1.113.